Zeitzeuge Paul Lendvai
Paul Lendvai wurde am 24. August 1929 in Budapest geboren. Als Sohn jüdischer Eltern überlebte der damals 15-Jährige 1944 durch die Hilfe eines Schweizer Schutzpasses die Verfolgungen durch die Nationalsozialisten in Ungarn und den Todesmarsch nach Österreich. Die traumatischen Erfahrungen seiner Jugend und seine Beobachtungen des politischen Wandels prägten ihn nachhaltig.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begann er seine journalistische Laufbahn bei sozialdemokratischen Zeitungen in Ungarn. Er wurde 1953 für acht Monate verhaftet, interniert und erhielt ein dreijähriges Berufsverbot.
Nach dem Ungarn-Aufstand floh er aus Ungarn über Prag und Warschau 1957 nach Wien. Er schrieb zuerst für Die Presse und dann andere Zeitungen in der Schweiz und Deutschland, teils unter Pseudonymen, um seine in Ungarn verbliebene Mutter zu schützen. 1959 wurde Lendvai österreichischer Staatsbürger. Von 1960 bis 1982 war er Auslandskorrespondent für die Londoner Financial Times und erlangte als ausgewiesener Experte für Ost- und Südeuropa zunehmende Bekanntheit.

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"Wieso er den Namen Gunskirchen über Jahrzehnte verdrängt hatte und wie er nun nachrecherchiert, was damals geschah und seinen eigenen Erinnerungen wieder auf die Spur kommt, das ist, so bedrückend das Thema bleibt, spannend zu lesen. Man versteht danach besser, was der innerste Antrieb des sein Publikum aufklärenden Journalisten und Publizisten Lendvai ist." – Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2008 über Best of Paul Lendvai - Begegnungen, Erinnerungen, Einsichten.
In diesem 2008 erschienenen Buch erinnert sich Paul Lendvai an jenen Tag, als er von der Existenz des Konzentrationslagers Gunskirchen erfuhr. In diesem Außenlager des KZ Mauthausen endete jener Todesmarsch ungarischer Jüd:innen, dem der damals 15-Jährige Lendvai nur durch die zufällige Freundlichkeit einer Hausmeisterin in Budapest knapp entkommen war.
1973 gründete er die Zeitschrift Europäische Rundschau als Stimme des Ost-West-Dialogs und blieb Chefredakteur der Zeitschrift, die bis 2020 bestand. Ab 1982 war Paul Lendvai Chefredakteur der ORF-Osteuropa-Redaktion. Seine journalistische Arbeit fiel in eine Zeit, in der der "Kalte Krieg" den Blick auf Osteuropa dominierte. Er war später Intendant von Radio Österreich International, wo er wesentliche Akzente in der Berichterstattung setzte. Von 1980 bis 2024 prägte Lendvai als Moderator der Sendung Europastudio den österreichischen Diskurs über Europa. Sein Einsatz für objektive und kritische Berichterstattung zeigt sich auch in seinen Reaktionen auf die "Waldheim-Affäre".
"Geprägt von kritischer Distanz, von tiefer Skepsis zu Nationalismus und Populismus, gepaart mit fundiertem historischen Wissen, ist Paul Lendvais Schaffen. Seine Schriften, präzise formulierten Analysen und politischen Kommentare sind Zeugnis eines von Humanismus inspirierten, stets sich und die Welt hinterfragenden Geistes." – würdigt Der Standard 2008 Paul Lendvais Arbeit
Als überzeugter Demokrat und analytischer Experte setzt sich Paul Lendvai in zahlreichen Schriften kritisch mit der Geschichte und Gegenwart Europas auseinander. In seinem Werk "Mein verspieltes Land. Ungarn im Umbruch." analysiert er, als einer der Ersten, die politischen Entwicklungen in Ungarn unter Viktor Orbán und thematisiert die Gefahren autokratischer Regierungen.
Seine umfassende Kritik an den Machtbestrebungen Orbáns führte zu Anfeindungen und Drohungen gegen den Autor, aber auch zu einem breiten öffentlichen Diskurs über die politische Entwicklung Ungarns. Als Kommentator der Tageszeitung Der Standard ist Paul Lendvai eine prägende Stimme im österreichischen Journalismus.
Seine einundzwanzig Bücher, viele auch in Fremdsprachen veröffentlicht, beschäftigen sich mit politischen Entwicklungen in Österreich, Ungarn und Osteuropa. Zuletzt erschien seine Studie "Über die Heuchelei". Mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik und dem Concordia-Preis für sein Lebenswerk, steht Lendvai für eine konsequent kritische Haltung gegenüber autoritären Regimen.
Mit seiner Frau Zsóka lebt Paul Lendvai heute in Wien und Altaussee.
"Lendvai, das ist lebende, lebendige Zeitgeschichte: immer differenziert, schonungslos sich selbst gegenüber und gerade deswegen stets mit Gewinn zu lesen." Der Falter, 2008